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Vorbereitung

06.09.2001

„Sehr geehrter Herr Schertel,

ich berufe Sie zum 10-monatigen Grundwehrdienst ab 01.11.2001 ein. Ihren Dienst treten Sie jedoch bitte erst 

am 05.11.2001 bis 18:00 Uhr 

bei 8./Gebirgsstabs- und Fernmeldelehrbataillon 8

in der Kofel 1-29, 82481 Mittenwald, Edelweisskaserne an.

Ihre weitere Verwendung nach der Grundausbildung ist im Raum MURNAU vorgesehen.

Ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie mit disziplinar- und strafrechtlichen Folgen rechnen müssen, wenn Sie Ihren Dienst schuldhaft nicht antreten.

Mit freundlichen Grüßen

Der Leiter“

Na super! Jetzt sollte ich also echt zum Bund kommen. Dabei kann ich mir nichts scheußlicheres vorstellen, als den Bund: marschieren, stillstehen, drillen, schlamm-robben, arschkriechen, anschreien lassen, keine Freizeit, Seife aufheben, Uniform….

Außerdem! Wie soll ich das überstehen? Da verhunger ich ja! Ich ess doch fast nur Fleisch und überhaupt kein Obst und Gemüse! Dass es eine vegetarische Kost für Angehörige anderer Religionen gibt, weiß ich ja, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie extra für mich eine ‚Nur-Fleisch-Mahlzeit’ bereitstellen. 

Das gibt Ärger, ich seh’s jetzt schon kommen….

08.12.1996

Ich bin 13 Jahre und 7 Monate alt und bei einem Arzt für Orthopädie – Sportmedizin hier in Bamberg. 

Meine Mutter glaubt, ich habe einen krummen Rücken und möchte  Klarheit haben. Ich werde geröntgt. Während wir auf die Bilder warten, machen wir noch eine Körperfettmessung, neueste Technik aus den Vereinigten Staaten! Der Doktor ist stolz auf sein Gerät und ich kann kein Wort davon lesen. Also muss der liebe Bruder herhalten, soweit er was davon versteht. 

18,3 % Körperfett, damit bin ich im optimalen Bereich und für Diskuswerfen, Tennis und Fußball geeignet.

Ich bin für mein Alter größer als 90 von 100 Amerikanern und schwerer als 75 von 100. Insgesamt bin ich meiner körperlichen Entwicklung um zirka zwei Jahre voraus. Aber da kommen ja endlich die Röntgenbilder!

Die Aussage ist ebenso einfach wie erdrückend für einen 13-jährigen, der sich nur die schlimmsten Horrorvisionen zeichnen kann, weil er nix kapiert. 

„Sie haben einen Scheuermannrücken, den Sie vererbt bekommen haben, außerdem haben Sie Sehnenverkürzung. Mit dem Rücken werden Sie niemals zur Bundeswehr müssen!“

Ich erinnere mich noch heute an seine Worte.

„Niemals zur Bundeswehr!“

Sein Nachfolger sollte ihn später einmal widerlegen und den Musterungsarzt bestätigen und mich damit in die Verdammnis der Bundeswehr befördern.

Schließlich hört man doch allenthalben, wie schrecklich der Bund sein soll. 

Aber damals war für mich klar, ich muss niemals dahin, aber auch, dass ich scheinbar einen so schlechten Rücken habe, dass es mir eigentlich viel schlechter gehen müsste. 

Irgendwann Ende 2000

Mein ältester Bruder hat sich gegen die Bundeswehr entschieden und leistet jetzt sieben Jahre Ersatzdienst bei der Freiwilligen Feuerwehr Bamberg ab. 

Jedes zweite Wochenende machen sie da Übungen.

Mein anderer Bruder hat sich für den Zivildienst bei der Diakonie Bamberg entschieden. Jetzt flitzt er elf Monate in einem schmucken  weißen Diakonieauto durch die Gegend; rast bessergesagt, denn um die Zeitvorgaben einzuhalten, die man hat, muss man schon wie der Teufel fahren um einigermaßen zeitgerecht die Arbeit erledigen zu können. Überstunden sind Voraussetzung, damit man angenommen wird. Das sagen sie einem aber erst später. 

Folglich leisten zwei Söhne ihren Dienst gegenüber dem Vaterland ab. Wir gehen davon aus, dass, selbst wenn ich gesund genug für die Bundeswehr sein sollte, die „Dritte-Sohn-Regelung“ greifen wird und ich nicht zum Dienst an der Waffe berufen werde. 

Aber wir gehen davon aus, dass ich nicht gesund genug bin, denn schließlich habe ich mich für den Polizeidienst beworben und mit der Endnote 2,77 bestanden. 

Mir wird schon auf die Schulter geklopft ‚wir freuen uns auf Sie, KOLLEGE!’ haben sie in Nürnberg gesagt. 

Der ärztliche Dienst in Nürnberg reagierte auf meinen Hinweis, „Ich habe einen Scheuermannrücken und Sehnenverkürzung.“ mit Gelächter. 

„Zeigen Sie mal her!“ Zwei Ärzte waren ausnahmsweise anwesend. Sie haben sich meinen Rücken betrachtet und abgeklopft, ich durfte ein paar Übungen machen. 

„Sind die Ärzte alle so kleinlich da oben in Bamberg?“ lautete die Antwort eines der beiden Doktoren. 

Dann kam ein Schreiben aus München, dass sich der dortige Polizeiarzt meine Röntgenbilder betrachtet habe und ich gemäß den derzeitigen Statuten polizeidienstuntauglich sei. 

Also, wer ist jetzt hier kleinlich?

Jedenfalls stand damit für uns fest, wenn die Polizei mich nicht nimmt, nimmt mich der Bund auch nicht.

Das war für uns logisch und richtig und so konnten wir der bevorstehenden Musterung, bei der wir uns fragten, warum ich gemustert werden sollte, da ja meine Brüder schon ihren Dienst ableisten, gelassen entgegensehen. 

Aber ein Gefühl der Unsicherheit bleibt.

Musterung Teil 1

10.11.2000

Heute ist der Tag meiner Musterung. Ich fahre mit dem Bus zum Kreiswehrersatzamt Bamberg, es liegt direkt neben dem Zentralen Omnibus-Bahnhof (ZOB).

War früher mal das Landratsamt. Großer weißer Klotz mit blauumrahmten Fenstern. Weiße Vorhänge versperren die Sicht in die Zimmer. Man tritt durch die schwere bronzebeschlagene Tür und landet vor einer versperrten Glastür. Rüttel, rüttel… Geht nicht auf.

Der Pförtner fragt endlich hinter seinem Sicherheitsfenster, wohin ich will. „Musterung!“ „Durch die Tür durch und die Treppe da vorne gleich hoch. Ist im ersten Stock, sie landen direkt vor der Tür.“

Die Tür geht auf. Nun gibt es kein Entrinnen mehr.

Ein großer Raum mit zwei Tischen in der Mitte und ein paar Stühlen. Verschiedene Zeitschriften über die Bundeswehr. Aschenbecher. Sporadisch verteilte Pflanzen um den Anschein eines Hauches Menschlichkeit und Naturverbundenheit zu erwecken.

Im letzten Drittel des Raumes die Treppen in das erste Stockwerk. Ich geh einfach mal auf der linken Seite die Treppe hoch um rechts oben anzukommen. Tür. Stühle. Da sitzt einer drauf. Ich frage: „Musterung?“ Er: „Ja.“ Kaum ausgesprochen kommt ein Soldat, ein Grüner, ein Vaterlandssklave, ein Verirrter, ein Seifenaufheber zu uns und fragt: „Ihr wollt zur Musterung?“

WOLLT! – Klar, ich erinnere mich an die DDR: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen!“

Aber klein und unwissend wie wir sind und da wir vor dem großen grünen Mann mit den zwei komischen Streifen auf der Schulter Respekt haben, weil wir ahnungslos sind, nicken wir und sagen schön brav „Ja!“.

„Dann wartet einfach hier und setzt euch hin, ihr kommt der Reihe nach dran.“ Ach danke! Das hätten wir uns auch selbst denken können, du Schlaubolzen. Jetzt sind wir genauso klug wie vorher – aber halt! Ist das vielleicht schon ein Teil des Planes, unseren Verstand zu brechen und uns mit dem Geist der Bundeswehr zu infizieren? Wurde von uns erwartet, dass wir schon bei der Musterung unser Gehirn beim Pförtner abgeben?

Doch auf diese tiefschürfenden Fragen sollte uns keine Antwort gegeben werden. Stattdessen sahen wir Gebrochene aus einer Tür weiter hinten auf diesem Gang kommen, die an uns vorbeischlurften um dann am anderen Ende des Kreiswehrersatzamtes auf weiteren Stühlen Platz zu nehmen.

Panik macht sich breit! Das waren einmal Männer! Wie schafft es die Bundeswehr innerhalb weniger Minuten, aus einer deutschen Eiche eine Krüppelbirke der russischen Tundra zu machen?!

Welche unsagbaren Dinge mögen sie wohl hinter diesen Türen erlebt haben? Was hat sich hier abgespielt?

Himmel! Lasst uns hier verschwinden, bevor wir noch zu seelenlosen Zombies werden, die sich Soldaten nennen!

Die Tür rechts neben uns öffnet sich…… Oh, Schreck! Zu spät! Der, der vor mir bereits auf sein Schicksal wartete, wurde von einer unförmigen Gestalt ins Zimmer geholt.

Wie ein Schatten wandelte sie und hinterließ von meinem Kollegen nur noch eine Erinnerung – dunkel und traurig. Kälte macht sich breit. Mich überkommt ein Frösteln.

Langsam machen sich Gedanken breit: Gedanken über die Flucht und Gedanken darüber, was der Schatten wohl alles wissen will. Und Antworten, die man geben könnte.

Musterung Teil 2

Was kann ich denn machen, um mich ausmustern zu lassen? Ich will nicht zur Bundeswehr. Ein letzter verzweifelter Gedanke, der nicht der Wirklichkeit gegenwärtig ist, dass die Bundeswehr einen schon hat!

Wie kann ich mich drücken? Ein Freund sagte, schluck Aluminiumfolie, wenn die dich röntgen und entdecken so weiße Flecken auf der Lunge, dann wirst du ausgemustert. Hat nichts gebracht!

Blut im Urin. Ich versuche mir in den Finger zu beißen, um einen Tropfen Blut reintröpfeln zu lassen. Klappt nicht. Aber da sind wir ja noch gar nicht.

Noch bin ich VOR der Tür und kann nur raten, was mich erwartet.

Soll ich den Schwulen spielen? Aber ist das nicht schon ausgelutscht, im wahrsten Sinne des Wortes?

Uwaaaah…..! Ich glaub, so kann ich mich nicht verstellen, das kauft mir keiner ab.

Den Rechten spielen? Bring ich nicht.

Mir fällt nichts mehr ein, ich bin am Rande der Verzweiflung. Mein Magengefühl wird ganz flau. Was kann man denn bloß machen, um dem Haufen zu entkommen?

Doch für weitere Gedankengänge bleibt keine Zeit, denn die Tür öffnet sich und der Schatten holt mich zu sich…. .

Ich betrete ein Büro mit einem einzelnen weißen Schreibtisch, drei Stühle: zwei auf meiner Seite und sein Stuhl.

Weiße Vorhänge, Topfpflanzen (um Menschenantlitz zu erwecken, wie im restlichen KWEA (Kreiswehrersatzamt)), Poster an den Schränken, die mir weismachen wollen, wie toll die Bundeswehr ist, Akten auf dem Schreibtisch. Es wirkt steril und kalt. Auch wenn es nicht wirklich so war, so kam ich mir doch vor wie in einem Verhörzimmer, wie es die antisowjetische Propaganda zu Zeiten des Kalten Krieges nicht ungemütlicher hätte darstellen können.

Und dann der „Schatten“: Ein Mann in den Vierzigern mit weißem Hemd und grellgelber Krawatte, die ebenso wenig aufzuheitern vermag wie das aufgesetzte Lächeln. Zumindest für eine Sekunde erschien es so, als HÄTTE er gelächelt. Der Mann ist etwas rundlich, schon kahle Stellen. Sein Gesicht verlangt nach meiner Faust, aber ich darf ihm nur die Hand geben.

Sein ganzes Verhalten schreit mir voller Begeisterung zu:

Ich liiiiiiiebe meinen Job und auf meinem Grabstein wird stehen: Er starb am Schreibtisch aufopferungsvoll den Beamtentod für sein Vaterland.

Ich sitze. Der Stuhl ist noch warm. MEIN GOTT! Was hat er nur mit meinem Vorgänger angestellt?! Ihn mit Haut und Haaren gefressen? Ist er deshalb so beleibt? Ich dachte, den bösen Wolf gibt es nur im Märchen!

Er steigt ein ins „Kreuzverhör“. Ich gebe ihm meinen Musterungsbescheid.

Musterung Teil 3

„Naaaaa?! Freuen Sie sich schon auf die bevorstehende Bundeswehrzeit?“ Ja, ebenso, wie ich mich freuen würde, wenn man mir beide Arme abschlägt. Was soll die Frage! Er merkt, dass mich das nicht unbedingt lockert und fängt an zu fragen.

„Bundeswehr oder Ersatzdienst?“ „Bund.“

„10 Monate oder länger?“ (Am liebsten gar nicht!) „10 Monate.“

„Auslandseinsätze oder lieber keine?“ „Letzteres.“

„Sind Sie schwul?“ „Soll ich Ihnen einen Blasen?“ „Werden Sie mal nicht frech!“ „Werden Sie mal nicht anzüglich!“ Naja, die letzte Frage lief nicht so, wie hier beschrieben, zeigt aber gut, was man(n) in der Situation gerade denkt.

Nach ein paar Minuten der mentalen Beeinflussung steht jedenfalls fest, ich mach nur Grundwehrdienst im Inland.

Ich werde durch eine Tür hinter meinem Rücken geschickt und weiß jetzt, wo mein Vorgänger abgeblieben ist: hier sitzen fünf Gestalten, alle in kurzen Klamotten, augenscheinlich Leidensgenossen.

Ich grüße „Hallo!“. Es wird zurückgegrüßt, ich ziehe mir meine kurze Sporthose an und die Hausschuhe, alles, wie es im Vorfeld verlangt wurde. Es dauert. Wir lesen die Zeitschriften, die auf dem Tisch liegen. Natürlich kein politisches oder weiterbildendes Material, sondern nur die „Hauszeitschrift“. Vereinzelt werden Worte gewechselt. Schon interessant, dass da so viele Gymnasiasten sind, die sich gerade auch noch in der letzten Klasse befinden, haben jedenfalls über ihre Facharbeiten gequatscht. Tja, ICH mach an der FOS Bamberg mein Fachabi, werde 2001 fertig und mein Fachreferat – das habe ich schon hinter mir!

Plötzlich eine Lautsprecherstimme, alle werden still: „Herr Kotschenreuther bitte in Labor 1!“ Labor 1! Sind die Gerüchte wahr und hier werden tatsächlich Mutanten hergestellt oder war die Inspiration für Frankenstein das Bamberger KWEA? Züchten Sie hier den Genom-Soldaten der Zukunft? Sind wir alle nur Teil des Planes, den perfekten DNA-Strang zu finden, mit dem der Supersoldat produziert werden kann? Waren die Gebrochenen, die an uns, während wir warteten, vorbeiliefen, bereits gefolterte Wesen, die möglicherweise schon tagelang hinter den Türen der „Labore“ gefangen waren und nun, ihres Verstandes und eines eigenen menschlichen Willens beraubt, als geistig tote Wesen bereits ihre DNA geopfert haben und nun nur noch der Prozedur der Einimpfung des soldatischen Geistes bedurften um somit als blökende Schafe einer Herde beizutreten, die im Namen des Vaterlandes ihre Gedärme zu opfern bereit war?!

Musterung Teil 4

Minuten vergingen. Minuten, die wie Stunden erschienen. Der nächste Aufruf: „Herr Schmerbacher, bitte in Labor 1!“ Ich schaute auf meine Uhr. Es waren seit dem ersten Aufruf 15 Minuten vergangen. Das heißt, dass in 45 Minuten meine Zeit gekommen sein sollte! Währenddessen kam ein neuer Leidensgenosse ins Zimmer. Er sieht dumm und unbeholfen aus. Leidend. Aber so sieht jeder aus, der hier hereinkommt. Auch ich.

Es sollte sich bewahrheiten, dass ich eine dreiviertel Stunde später ins „Labor“ gerufen wurde.

Ein etwas älterer Arzt war im Zimmer und relativ freundlich und auch gut aufgelegt. Einer der wenigen hellen Momente dieses Tages. Ich durfte mich zuerst einmal messen lassen und er stellte anschließend mein Gewicht fest. 64 Kilogramm bei 1,83 m Größe.

„Das ist schon ziemlich leicht.“ „Aber ich hab noch kein Untergewicht, oder?!“ Diese Frage war gedacht, um den Arzt auszuhorchen, wie viel ich abnehmen müsste, um wegen Magersucht oder sonst was ähnlichem ausgemustert zu werden. „Ab 62 Kilo sind Sie untergewichtig!“ Haaa! Also nur zwei Kilo abnehmen, dass sollte doch zu schaffen sein, falls sie mich für tauglich befinden sollten! Aber erst mal schaun, was sie noch alles wollen.

Als nächstes wurde die Urinprobe angenommen. Dazu durfte man sogar in ein separates Kämmerchen, in dem eine Luke war, in die man die Probe stellen sollte. Der Arzt gab noch eine Hilfestellung, bevor er aus dem Zimmer ging: „Wenn’s nicht gleich klappt, etwas Wasser über den Arm laufen lassen, dann läuft’s!“ (Dann klappt’s auch mit dem Nachbarn oder was?!) Danke, toller Tip. Ich hab aber vorsorglich was getrunken, damit ich da nicht zu lange verweilen muss. Der Trick mit dem Blut im Urin hat nicht geklappt, ich konnte mir den Finger nicht blutig beißen.

„Keine Drogen oder sonstigen Stoffe im Urin nachzuweisen.“ Hätt ich dir auch sagen können, du Schlaumeier. Aber gut, er muss es ja überprüfen.

Und weiter geht’s, ab ins nächste Labor!

Ich betrete nun den Ort, an dem sich unsagbares Grauen abspielt: das Zimmer des Bundeswehrarztes!

Es gibt im Kreiswehrersatzamt Bamberg zwei Ärzte, die die genaue Untersuchung vornehmen: Einen älteren und stoffeligen Arzt und eine etwas jüngere Ärztin, die noch dazu gut aussehen soll und von der manch einer schon erzählt hat, dass man aufpassen muss, dass man kein Rohr kriegt. Es sollen schon einige wegen sexueller Belästigung der Ärztin eine Anzeige bekommen haben, wird erzählt. Aber sicher ist da nichts.

Jedenfalls hab ich den alten, stoffeligen Arzt bekommen. Der hat erst mal Ruhepuls gemessen, mich zehn Liegestütz machen lassen und dann wieder gemessen. Dann wurde mein Rücken „fachmännisch“ untersucht, hab ja meine alten Befunde mitgebracht und dem Arzt erzählt, dass man mir schon mit 13 gesagt hat, ich hätte ein ZU schlechtes Kreuz für den Bund.

Das sah der aber ganz anders. Verdammt! Meine Chancen, ausgemustert zu werden, schwinden. Dann kam ich hinter den Vorhang! Oh je! Die Sackkontrolle! Er zieht sich seine Gummihandschuhe an und meint „Hosen runter!“ Meine schlimmsten Befürchtungen werden wahr! Er prüft, schaukelt, tastet, gafft, tatscht und lässt mich nach einer knappen Minute endlich wieder die Hosen hochziehen.

Musterung Teil 5

Die ekligste Minute meines Lebens ist hinter mir. Ich fühle mich nicht gerade gut. Es ist dieses Gefühl, als wenn man 30 Milky Way gegessen hat und kurz vor dem Kotzen steht. Jetzt „darf“ ich den Augentest machen, erst mit dem Buch mit den lustigen Zahlen und dann am Sehgerät. Spitzenwerte! Danach Hörtest. Absolut erstklassige Ergebnisse. Da fällt mir ein: MOMENT MAL! Wenn ich bei den Tests schlecht abschneiden würde, dann würde ich doch eventuell ausgemustert! Aber es ist zu spät, die Tests sind vorbei.

Und vielleicht hätte man mich auch bloß zu einer Idioteneinheit gesteckt, die dann WIRKLICH nichts in der Birne hätten und alle blind und taub wären.

Es wird noch irgendein Wisch ausgedruckt und ich erfahre sofort meinen Tauglichkeitsgrad aufgrund meiner körperlichen Beschaffenheit: 2, Fehlerziffer III. Der noch kommende Psychotest hat darauf also keine Auswirkung.

Ich konnte mich anschließend wieder komplett anziehen und wurde durch die Tür, die von den Stühlen vor dem Zimmer des Schattens aus zu sehen war, an die andere Seite des KWEA geschickt, um dort Platz zu nehmen.

Jetzt war ICH eine dieser gebrochenen Gestalten, die verunsichert, ob man jetzt doch unerwarteterweise tauglich ist, an den Stühlen vorbeischlurfte und sich den mitleidigen Blicken der „Neuen“ aussetzen musste. Mit dem Wissen, dass man selbst noch vor einer Stunde hier gesessen hatte und mit der Gewissheit, dass auch diese Menschen das eigene Schicksal teilen würden und innerhalb kürzester Zeit auch zu den Gestalten gehören würden, die hier entlangschlurfen. Ein nicht enden wollender Teufelskreis.

Musterung Teil 6

Zweite Station des Tages.

Eigentlich war das heute schon genug mentale Verseuchung durch die Bundeswehr und wir alle hätten gute Lust, nach Hause zu gehen, dem Schrecken zu entfliehen. Wir, das sind ich und noch drei weitere „Kameraden“, die auf den Stühlen am anderen Ende des KWEA Platz genommen haben und auf die Fortführung unserer ‚Inquisition’ PARDON – MUSTERUNG (!) warten. Irgendwie scheint es hier schneller zu gehen, denn beim Arzt waren ja fünf Leute im Wartezimmer.

Es stehen acht Stühle in einer Reihe, vor den beiden in der Mitte ist ein kleiner Tisch von eineinhalb Metern Länge, Holzimitat. Und schon wieder nur die Bundeswehrzeitschriften zu lesen. Wenigstens steht hier ein Fernseher! Ja, es ist wahr, die Bundeswehr stellt einen Fernseher bereit, um die Wartezeit zu überbrücken! Wollen Sie uns unser wahrlich schweres Los, diese Angestellten zu erleiden tatsächlich erleichtern? Sich für die Folter entschuldigen und uns versöhnlich stimmen?

Was wird wohl laufen? Der neueste James Bond Spielfilm, eine Komödie mit Robbin Williams oder der allerneueste heiße Gina Wild Porno (Lechz), damit wir ‚entspannen’ können?

Aber hoffentlich doch nicht die Sachen aus dem täglichen Vormittagsprogramm wie Familienduell, Arabella Kiesbauer oder Alfredissimo!

Der Fernseher geht an und wir sind voll der Freude ob der Dinge, die da kommen werden. Und….. oh Schreck!

NEIIIIIIIIN! – Ich wünschte, sie würden Damenfußball zeigen. Oder wenigstens die hundertste Wiederholung von Love Boat. Oder wenigstens die Sesamstraße. Aber DAS!!! Manch ein Kamerad überlegt schon, ob er nicht in den vierten Stock rennen und sich mit einem Sturz auf die Tische in der Halle unten, die ich zu Anfang gesehen habe, das Leben nehmen soll. Die Schlagzeile wäre auch zu schockierend für die Medien und zu rufschädigend für die Bundeswehr insgesamt. „17 Jähriger nimmt sich während der Musterung durch Sturz im KWEA das Leben, weil er Angst vor der Bundeswehr hat!“ Eine Schlagzeile, wie geschaffen für die Bildzeitung und auch ich hadere mit diesem Gedanken. Könnte man damit das KWEA nicht unter Druck setzen?

Aber keiner von uns hängt diesem Gedanken lange hinterher, denn das Grauen, das uns in dieser Sekunde angetan wurde, war zu schrecklich, zu schockierend und zu lähmend, um sich ihm zu entziehen:

Es laufen Filme von und über die Bundeswehr, in der uns Kameraden beschreiben, wie toll sie alles finden, warum sie gerade bei der Marine (alle schwul), Luftwaffe (Selbstmord leichtgemacht) oder dem Heer (ich bin ja soooo gerne Zielscheibe) sind und warum sie es uns auch DRINGEND empfehlen, zum Bund zu gehen und zu verlängern. Da ist Mike, ein Mechaniker, der in der Instandsetzung tätig ist und gerade seine Prüfung zum Unteroffizier ablegt. Petra, die zur Marine geht, weil man da ‚so tolle Erfahrungen’ machen kann (400 Männer und Petra auf einem Schiff, tolle Erfahrungen, alles klar!) und Jürgen, dessen Traum es schon immer war, zu fliegen.

‚Das müssen alles entweder Schwuchteln oder verdammt schlechte Schauspieler sein’ geht es durch unsere Köpfe. Denn wer sollte sonst freiwillig länger beim Bund bleiben oder überhaupt hingehen? Warum ich nicht verweigere und Zivildienst mache? Zivildienst – das sind keine Männer. Das sind Weicheier, Schöngeister, Blumenpflücker, Transen. Nein nein, wenn ich schon was machen muss, dann geh ich zum Bund!

Musterung Teil 7

Worauf warten wir hier eigentlich? Weiß das jemand? Einer weiß Antwort: Auf den Wehrdienstberater!

Wir kommen auch der Reihe nach dran bei diesem Wehrdienstverräter oder wie der sich nennt. Der quatscht so nochmal ein bisschen was und beantwortet uns unsere Fragen. Total unwichtig jedenfalls. Nach 15 Minuten ist das gelaufen und er entlässt mich mit der Bemerkung, ich soll nochmal draußen auf den Stühlen Platz nehmen, weil noch der psychologische Test drankommt. Aber da jetzt Mittagspause ist und ich erst danach drankomme, kann ich mir schnell was zu essen holen.

Mach ich auch. Endlich mal für ne halbe Stunde raus aus dem Affenkasten. Die Welt außerhalb des KWEA sieht trotz Novemberwetter so freundlich aus und auch der mürrische Busfahrer, den ich direkt vor dem KWEA treffe, lächelt für mich wie ein Heiliger. Die Bratwürste schmecken so gut wie der beste Sonntagsbraten und die TopStar Cola hat Champagnerqualitäten.

Aber die halbe Stunde ist schnell vorbei und so darf ich mich wieder zu den anderen Tieren auf die Schlachtbank setzen und auf den ‚psychologischen Test’ warten.

Ab und zu wird auch jemand aufgerufen, aber bis der nächste drankommt, das dauert. Mein Vorgänger von heute morgen wird gerade zu dem Test bestellt und ich rechne mir aus, dass es wohl noch mindestens eine halbe Stunde dauern wird, bis ich endlich drankomme.

Mit der Zeit hätte ich wahrlich besseres zu tun. Aber oh Wunder! Ich komme keine 10 Minuten später dran.

Ich betrete einen Computerraum, in dem bereits 16 andere Männer sitzen, jeder vor einem Rechner und mit Kopfhörern. Da könnte man doch bestimmt ein bisschen herummanipulieren und mal kucken, was die so alles auf den Rechnern haben?! Ha, denkste!

Denn die ‚Tastatur’ die man hat, ist ein vorzeitliches Modell, das mit unseren heutigen Keyboards rein gar nichts zu tun hat. Da sind kleine rechteckige Felder, in denen mehrere Leuchtdioden angebracht sind, Tasten mit Symbolen und eine JA/NEIN-Taste. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass man drei Zeilen zu je zehn Symbolfeldern hat, wie in einem Koordinatensystem und das die Felder mit den Leuchtdioden somit die ‚Skalierung’ darstellt. Was ich wohl damit anstellen darf?

Aber bevor sie mich an den Rechner lassen, bekomme ich einen Fragebogen, auf dem ich bitte einmal meine Erwartungen an die Bundeswehr und die Vorgesetzten notieren soll. Na gut, könnt ihr haben.

Ich will fair behandelt werden, meine Gesundheit und meine Würde sollen geachtet werden, ich hoffe, angemessen ernährt zu werden und außerdem hoffe ich, dass die Dritte-Sohn-Regelung greift!

Musterung Teil 8

Jetzt werde ich in eine Liste eingetragen und mir ein Sitzplatz zugeteilt. Jetzt darf ich mich also an den Rechner setzen. Auftrag: Den Anweisungen auf dem Bildschirm folgen, dabei den Kopfhörer aufsetzen, da die Aufgaben auch gleichzeitig vorgelesen werden und natürlich soviel wie möglich richtig beantworten. Ich darf mir sogar EIN ganzes Schmierblatt nehmen, sofern ich das brauchen sollte.

Ich kann also jetzt mit den Aufgaben beginnen. Derweil liest sich der Bedienstete meine Erwartungshaltung an die Bundeswehr durch. Eigentlich sollte ich mich ja auf die Aufgaben konzentrieren, aber ich schau immer mal auf seine Reaktion. Aber andererseits hat er noch mehr Blätter und ich weiß gar nicht mehr, ob er meins schon gelesen hat oder noch macht oder wie auch immer.

Jedenfalls: was waren das für Tests?

Eigentlich ganz einfache Intelligenztests sowie Rechenfähigkeit und sprachlicher Ausdruck.

Wie fällt ein Sack, der aus einem Flugzeug geworfen wird? Fünf mögliche Antworten.

Wie dreht sich die Schraube, wie das Zahnrad, wenn sich C so oder so bewegt?

Dazu ein paar simple Rechenaufgaben, dafür ist das Schmierblatt dann doch gut oder für ein paar andere Notizen. Aber eigentlich bräuchte man es nicht unbedingt. Zeitlimit gibt’s zwar auch, aber ich bin eh schneller fertig. Zwei von den 16 im Raum sind fertig und gehen wieder raus, nachdem sie mit dem Angestellten nochmal geredet haben. So. Bin jetzt auch fertig. Ein paar Tests waren’s zwar schon, aber alles nix Weltbewegendes. Ich hab auf jeden Fall mal nicht absichtlich schlechter gemacht sondern schon echt geantwortet. Schließlich macht man so einen Test nicht alle Tage und es ist schon interessant, wie gut man denn dann tatsächlich ist. Jedenfalls mache ich mich bemerkbar und der Fritze zeigt mir an, dass ich zu ihm hinkommen kann. Er geht mit mir nochmal meine Erwartungshaltung durch.

Also: Zu den Themen Fairness, Gesundheit und Würde weißt mich der Bedienstete darauf hin, dass man während seiner Zeit als Soldat in seinen Grundrechten eingeschränkt ist, aber natürlich nicht menschenunwürdig behandelt wird. Das Thema Essen wird relativ kurz und bündig abgehandelt. Verhungert ist noch keiner, eventuell müssen Sondermahlzeiten direkt vor Ort mit dem Hauptmann abgesprochen werden, der sich der Sache dann annimmt. Und ob die Dritte-Sohn-Regelung greift, kann er nicht beantworten, geht aber nicht davon aus, sonst würde ich ja nicht gemustert werden.

Schon mal toll! Ich darf mich jedenfalls nochmal draußen auf die Stühle setzen und noch ein letztes Mal am heutigen Tag warten, dass mich so ein Wehrdienstverräter, äh….. BERATER(!) „verhört“.

So nehm ich denn Platz und warte – mal wieder. Aber es dauert keine fünf Minuten und ich werde in ein Zimmer geholt. Da bekomm ich nochmal ein Formblatt für die Erstattung meiner Kosten und für etwaigen Verdienstausfall. Ha-ha! Super! Ich bin Schüler, ihr habt mir nen schulfreien Tag beschert, das war soweit auch ganz gut. Wenn’s nicht solange gedauert hätte! Während ich hier drin versauert bin, hatten die anderen schon längst Schulschluss und haben sich nen schönen Tag gemacht! Ich dagegen darf jetzt ziemlich spät, es ist nach 15 Uhr, nach Hause, darf dann noch eineinhalb Kilometer heimlaufen, weil der Bus nicht weiter zu mir fährt, und nicht nur die heutigen Hausaufgaben machen sondern mich sogar noch auf den nächsten Tag vorbereiten! Ach, es ist doch alles…. . Wenigstens bin ich in diesem Büro nach fünf Minuten fertig und die Testergebnisse kann ich dann das nächste Mal erfahren. Fein.

Musterung Teil 9

Endlich kann ich heim!

Raus aus dem Kreiswehrersatzamt, auf den Bus gewartet, zwar wieder sitzen und warten, aber diesmal sinnvolles warten auf die Ankunft zuhause. Oder zumindest an der Endstation und von da aus nochmal an der Straße entlanggelaufen, bis ich zuhause bin. Dauert insgesamt nochmal eine dreiviertelstunde und so komme ich endlich um kurz nach 16 Uhr zuhause an. Gott sei Dank!

Endlich Ruhe und Frieden! Noch die Fragen der Eltern beantworten, wie war die Musterung, war’s schlimm, bist du tauglich, ham sie dir an den Eiern rumgespielt?…..

Aber das is wenigstens schnell vorbei und so endet Bundeswehr – der erste Kontakt. Jetzt wird es wohl ein paar Tage dauern, bis ich Bescheid kriege, was denn nun Sache ist, ob sie mich nehmen und wo sie mich hinstecken. Falls!

Jetzt kann ich noch die paar Unterlagen in meinen Ordner packen, in dem ich das ganze Bundeswehrzeug abhefte.

Jetzt darf ich noch einen Freund anrufen und nachfragen, was wir heute in Mathe gemacht haben und welche Hausaufgaben wir haben. Nachdem das geschehen ist, mach ich mich über die Erledigung dieser unangenehmen Pflicht und denke mir dann ach scheiß doch drauf, is mir jetzt eh alles schnurzpiepegal, wenn ich das nicht fertig hab, is mir auch wurscht. Die kann mich mal, die Tussi. Interessiert mich jetzt nicht, ob ich Mathe fertigkrieg oder nicht. Mathe is eh total unnütz. Wozu und wann soll ich das noch jemals in meinem Leben brauchen, dass ich Parabeln berechnen und Extremwerte bestimmen kann?

Gottfried Wilhelm Leibniz hat gesagt: „Es ist ausgezeichneter Menschen unwürdig, gleich Sklaven Stunden zu verlieren mit Berechnungen!“

Die Argumente der Lehrer dagegen sind lau, aber was will man machen, man muss es trotzdem lernen, auch wenn’s einem nicht schmeckt. Ich pfeif jetzt auf Mathe.

Ich hab Englisch fertig und Deutsch auch. Solln sich alle nicht so haben, ich hatte schließlich Musterung und bin total erschöpft von dieser Tortur. Ich geh jetzt vor den Fernseher entspannen. Vielleicht läuft ja heut abend Stirb langsam. Das wär ne gute Entschädigung für den heutigen Tag.

Erste Nachmusterung Teil 1

Die Musterung war also endlich vorbei und ich hatte ja bereits meinen Tauglichkeitsgrad erfahren, 2 mit der Fehlerziffer III. Scheinbar ist dieser Psychotest also nur dafür gut, um rauszufinden, in welcher Verwendung man geeignet ist. Ich hatte ja bereits am 10.11.2001 mein Musterungsergebnis erhalten und demnach waren die Chancen eingezogen zu werden, sehr hoch. Damit wollte ich mich aber nicht zufrieden geben.

Der allererste Kontakt mit der Bundeswehr geschah schon irgendwann Anfang Mai 2000, wo mir mitgeteilt wurde, dass ich gemustert werden sollte. Damals teilte ich dem Kreiswehrersatzamt am 05.05.2000 mit, dass meine beiden Brüder bereits geeigneten Ersatzdienst leisten und ich deshalb vom Dienst an der Waffe freigestellt werden möchte, mit Hinweis auf die Dritte-Sohn-Regelung. Doch laut Auskunft des KWEA wird der Dienst meines ältesten Bruders bei der Freiwilligen Feuerwehr Bamberg nicht für die Dritte-Sohn-Regelung angerechnet. Nachdem ich jetzt also bei meiner Musterung war, legte ich Widerspruch ein, in dem ich mitteilte, dass meine Brüder ihren Dienst ableisten und ich mich deshalb bis zur eindeutigen Klärung der Sachlage nicht genötigt sehe, meinen Dienst bei der Bundeswehr anzutreten. Ich erhielt daraufhin am 28.12.2000 einen Brief aus Bonn von Herrn Sannwaldt.

In diesem wurde mitgeteilt, dass die Dritte-Söhne-Regelung eingeführt wurde, um Familien mit mehreren Kindern vor besonderen finanziellen, beruflichen und familiären Belastungen zu schützen. Da jedoch mein Bruder nur an jedem zweiten Wochenende bei der FFW Bamberg ist und somit seinem sozialen Umfeld erhalten bleibt und auch einer geregelten Arbeitstätigkeit nachgehen kann, kann hier von keiner außergewöhnlichen Belastung gesprochen werden und im Sinne der Gleichbehandlung aller Wehrpflichtigen müsste ich deswegen der Aufforderung des KWEA auf Ableistung meines Grundwehrdienstes Folge leisten.

Erste Nachmusterung Teil 2

In der Zwischenzeit erhielt ich darüber hinaus noch den Bescheid vom KWEA auf eine Gebiets-(Fach-)Ärztliche Zusatzuntersuchung, in der mich das KWEA an den Nachfolger meines Arztes verwies, bei dem ich als 13jähriger meine Röntgenbilder hatte machen lassen und von dem sie einen Befund erwarteten, der sie in meinem Tauglichkeitsgrad bestätigen sollte. Man hatte sogar schon einen Termin für mich ausgemacht, am 09.01.01 um 9:45 Uhr. Tja, was blieb mir also anderes übrig, als den Arzt aufzusuchen und mich untersuchen zu lassen.

So saß ich also am besagten Tag bei besagtem Arzt im Wartezimmer. Das trägt seinen Namen zu Recht. Denn ich konnte bis 11:15 Uhr die Zeit totschlagen bis ich endlich mal an die Reihe kam. Das sind doch keine Zustände. Nicht nur, dass ich einen Termin habe(!), sondern auch, dass es so lange dauert, obwohl ich schon eine Dreiviertelstunde nach Praxisöffnung dort war und immer noch nicht an die Reihe kam, war für mich mehr als nervenaufreibend. Insbesondere, da die Untersuchung an sich relativ kurz war. Mein Rücken wurde begutachtet, die Beinstellung überprüft und ich bekam eine Überweisung zum Einlagenmacher. Diese hatte allerdings mit der Bundeswehr nichts zu tun. Hatte den Vorteil, dass ich mir mal wieder Einlagen für meine Schuhe machen lassen konnte auf Kosten der Krankenkasse. Der dortige Meister hat mir dann ganz spezielle Einlagen verpasst, die meine Fehlstellung korrigieren und gleichzeitig eine 8mm Unterlage, da mein linkes Bein einen Zentimeter kürzer ist als das rechte. Soll ja schließlich richtig laufen können, besser gesagt marschieren.

Der Orthopäde attestierte mir in der Zwischenzeit, dass ich einen Beckentiefstand links habe, mit s-förmiger Rumpfwirbelsäulenskoliose und durchgemachtem M. Scheuermann. Dieses Antwortschreiben kam ins KWEA und dort befanden Sie, dass der festgesetzte Tauglichkeitsgrad so in Ordnung ist und ich mich auf den Bund freuen darf.

Doch ich hatte noch nicht aufgegeben! Ich hatte am 18.11.2000 einen Widerspruch geschrieben, auf den ich auch am 24.01.2001 Antwort aus München erhielt. Mir wurde die Möglichkeit gegeben, in einem Anhörungsverfahren meine Gründe darzulegen. Sollte ich jetzt nach München fahren? Meine Eltern erklärten sich jedenfalls bereit, mitzugehen. Wie wir aber glücklicherweise Auskunft bekamen, fand das Verfahren am 17.07.2001 in Bamberg statt und so ging dann mein Vater mit, um unsere Lage zu schildern. Das Gespräch war allerdings wenig fruchtbar, es kam nur nochmals deutlich zur Sprache, dass ich etwas merkwürdige Essgewohnheiten habe, d.h. dass meine Ernährung fast ausschließlich aus Fleisch besteht. Weiteres konnte nicht zu unserer Zufriedenheit geklärt werden.

Am 06.08.2001 kam daraufhin ein weiteres Schreiben aus München von der Wehrbereichsverwaltung VI von einer Ärztin, die mich bat, meinen Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden, sofern er mir zu meiner speziellen Kostform angeraten hätte. Meine Mutter rief kurz darauf diese Ärztin an und erklärte ihr, dass sie bereits seit Jahren vergeblich versucht, mich auch wieder für Obst und Gemüse zu begeistern, was allerdings immer fehlschlug.

Nach einer intensiven Unterhaltung gab sich die Ärztin zufrieden und versicherte, ihr möglichstes zu unternehmen um in unserem Sinne zu handeln. Ich erhielt dann eine Ausfertigung der Entscheidung im Verfahren um meinen Widerspruch. In diesem stellte die Ärztin fest, dass ich besondere Essgewohnheiten aufgrund Lektüre einschlägiger Fachbücher hätte, dies aber meine Verwendung nicht beeinträchtigen würde und ich deshalb nach wie vor mit dem Tauglichkeitsgrad wehrdienstfähig (2) mit Einschränkungen der Verwendungsfähigkeit für bestimmte Tätigkeiten mit dem Hauptfehler III 42 zu beurteilen bin. Und damit war Schluß.

Es gab nun für mich keine Möglichkeit mehr, ausgemustert zu werden.

Und dafür könnte ich diesen einen Kerl aus meiner Klasse erwürgen, denn er war ungefähr zwei Wochen nach mir bei der Musterung und ist sofort mit dem Tauglichkeitsgrad 5 gemustert worden, d.h. er wurde ausgemustert! Wie hat das dieser verdammt Kerl gemacht? Hat er dem Arzt gesagt, dass seine Augen so strahlen und er wunderschöne Beine hat? Hat er einen Ständer bekommen, als der Arzt ihm zwischen den Beinen rumgegriffelt hat oder was hat der gemacht? Ich werde es wohl nie erfahren.

Tage der Angst Teil 1

Gut, ich war also tauglich und zwar mit 2. Wir hatten alles versucht, damit ich nicht zur Bundeswehr muss, aber es hatte alles nichts geholfen. Das hatte wenigstens den Vorteil, dass ich für dieses Jahr unterkomme, denn die Fachhochschule, für die ich mich beworben hatte, hatte mich abgelehnt und ich wusste sonst nicht, was ich hätte machen sollen in dem Jahr. Das war insoweit praktisch, ich hatte damit nach Vollendung der zwölften Klasse und dem Erwerb meines Fachabi erst mal zwei Monate Leerlauf bevor ich also eingezogen wurde.

Auf meine Frage im Arbeitsamt hin, ob ich mich denn für diese zwei Monate arbeitslos melden soll, bekam ich als Auskunft, dass das nur für die Rente später mal von Vorteil sein könnte, der Berater es mir aber nicht empfiehlt. Hier ein kurzer Tip: Wer direkt nach der Schule zum Bund muss und vorher ohne Beschäftigung ist, bitte DRINGEND arbeitslos melden. Denn nach meiner Bundeswehrzeit hätte ich Arbeitslosengeld bekommen für die Zeit, bis ich eine Ausbildung beginnen konnte, wenn ich vorher schon arbeitslos gemeldet gewesen wäre. Der Bund wäre hier als Arbeit angerechnet worden und hätte damit Ansprüche für mich gerechtfertigt. So bekam ich nichts und kann dem Berater jetzt auch nichts nachweisen. Aber das hier nur als gut gemeinte Empfehlung.

Jedenfalls hatte ich wenigstens die Hoffnung nach Ebern oder Roth bei Nürnberg zu kommen, meine beiden nächstgelegenen Bundeswehrstandorte. Schließlich heißt es ja, dass man möglichst heimatnah eingesetzt wird und diese beiden Standorte sind jeweils ungefähr 80 Kilometer von mir entfernt.

Doch dann kam am 06.09.2001 mein Einberufungsbescheid. WO bitte schön, werde ich ausgebildet? In MITTENWALD? Nie gehört! Wo soll das denn sein? Antwort: Ungefähr 3 Kilometer vor der österreichischen Grenze. Das heißt aus dem Norden Bayerns an das südlichste Ende! Heimatnah? 350 Kilometer?! Ha! Das kanns doch wohl nicht sein! Doch meine Eltern nehmen’s schon relativ gelassen und freuen sich.

‚Du kommst in die Berge’, ‚Was, soweit runter?’, ‚Naja, hast doch eine ganz tolle Landschaft da unten’ und dergleichen bekomme ich zu hören. Auch all unsere Bekannten oder Nachbarn, die erfahren, dass ich nach Mittenwald komme, freuen sich ‚mit mir’! Ja, Mittenwald ist schon klasse – WENN MAN BERGE MAG! Ich dagegen HASSE Berge, Wandern und hab außerdem Höhenangst. Also ideale Voraussetzungen für die Ausbildung da unten.

Mein Vater hat sogar einen Faltplan in Scheckkartengröße von Mittenwald! Meine Güte! Als wäre es schon vor 13 Jahren, denn mindestens so alt ist dieser Faltplan, bestimmt worden, dass ich mal nach da unten komme! Das hält doch der stärkste Mann nicht aus! ‚Wo kommt dein Sohn hin?’ ‚Nach Mittenwald’ ‚Ach so, zu den Mulitreibern!’. So lief fast jedes Gespräch ab. Aber nein, ich komme nicht zu den Mulitreibern, die sind zwar da unten, aber da ist auch eine Grundausbildungskompanie für Fernmelder. Und DA komme ich rein.

Jetzt musste ich mich also damit abfinden, dass ich in die Berge komme, 687 Höhenmeter Unterschied! Das ist doch unmenschlich! Mittenwald liegt auf 923 Metern. Oh du mein Gott! Ich werde die Bundeswehr noch lieben, ich weiß es jetzt schon. Ich komme in die Berge und das auch noch im Winter. Und dann noch kurz vor Weihnachten. Wer weiß, ob ich da dann überhaupt zuhause sein werde oder ob die mich unten behalten. Mein Vater sagt schon, es müssen Sonderdienste geschoben werden, auch während der Feiertage. Und es ist ja nicht auszuschließen, dass gleich oder ganz besonders Soldaten aus der Grundausbildung dafür herangezogen werden. Meine Güte, was werde ich Spaß haben.

Tage der Angst Teil 2

Nicht lange nach dem Einberufungsbescheid kam folgendes Schreiben von unserem allseits beliebten Schnelldenker und –sprecher Rudolf Scharping.

Bundesministerium der Verteidigung

Der Bundesminister

Soldaten,

ich begrüße Sie ganz herzlich in der Bundeswehr. Sie haben sich bewußt für den Grundwehrdienst entschieden und nehmen Einschränkungen und Unbequemlichkeiten in Kauf. Sie beweißen damit vorbildliche staatsbürgerliche Haltung. Dafür danke ich Ihnen.

Hauptaufgabe der Bundeswehr ist die Landes- und Bündnisverteidigung. Hier findet die Wehrpflicht ihre tiefsten Begründungen. Alle Staatsbürger tragen gemeinsam Verantwortung für den Frieden und die Freiheit unseres Landes.

Soldat zu sein bedeutet für jeden von Ihnen eine große persönliche Herausforderung. Militärisches Können, das Siesich in den nächsten Wochen erwerben, ist selbstverständliche Voraussetzung. Aber Können allein genügt nicht. Mut und Kameradschaft, Hilfsbereitschaft und Teamgeist gehören ebenso zum Soldatsein. Soldat für den Frieden kann nur sein, wer selbst zu den Werten unseres Grundgesetzes steht, wer Achtung und Respekt vor den Menschen verschiedener Völker und vor ihrer Kultur hat.

Als Staatsbürger in Uniform haben Sie nicht nur besondere Pflichten, sondern auch Rechte. Der Grundwehrdienst bietet zahlreiche Möglichkeiten, die Sie für sich nutzen können. In vielen Bereichen des Dienstes sind Wehrpflichtige zur Mitbestimmung und Mitgestaltung aufgerufen.

Zur Freizeitgestaltung gibt es an den meisten Standorten speziell für Grundwehrdienstleistende Angebote und Vergünstigungen, die es Ihnen erleichtern werden, sich weiterzubilden, die Region und ihre Menschen kennenzulernen und sich zu erholen. Natürlich werden ihre Vorgesetzten, ältere Kameraden oder ein Freizeitbüro sie über die entsprechenden Möglichkeiten informieren. Wie immer im Leben ist aber auch hier eine gewisse Portion Eigeninitiative erforderlich, um alle Möglichkeiten ihren Fähigkeiten und Wünschen gemäß zu nutzen.

Für Ihren Dienst wünsche ich ihnen viel Soldatenglück.

Rudolf Scharping

(..)

Für meine vorbildliche staatsbürgerliche Haltung dankt er mir also. Wunderbar. Kann ich mir viel für kaufen. Hör auf mir zu danken und lass die Dritte-Söhne-Regelung für mich greifen, da hab ich mehr von!

Alle Staatsbürger tragen gemeinsam Verantwortung für die Freiheit und den Frieden unseres Landes. Sehr schön! Aus genau DIESEM Grund müssen also nach wie vor nur Männer zu Bund, was?! Soviel zum Thema ALLE!

Achtung vor dem Grundgesetz hab ich, aber nicht unbedingt zu allen verschiedenen Völkern, soweit ist es mit meiner Nächstenliebe nicht unbedingt bestellt.

Es gibt bei der Bundeswehr Möglichkeiten sich zu erholen? …….ahahahaha! Da muss ich ja mal laut lachen. ERHOLUNG bei der Bundeswehr? Also, lasst mal eure schlechten Witze zuhaus. Angeblich (!) ist nach der Grundausbildung ja nicht mehr soviel los und die Züge blödeln nur noch auf ihren Stuben rum, aber das glaub ich momentan einfach noch nicht.

Ich kann mir zwar vorstellen, dass das eine zeitlang mal so gewesen ist, aber ich glaube nicht, dass das heute noch genauso ist. Besonders zum jetzigen Zeitpunkt kann ich das einfach nicht akzeptieren. Noch steht alles vor mir. Als erstes die Grundausbildung. Und außerdem werde ich ja später ‚feldgemäße Telefonverbindungen’ erstellen. Aber das hab ich erst im nächsten Brief erfahren, den ich vom Hauptmann meiner zukünftigen Einheit erhalten habe.

Tage der Angst Teil 3

8./Gebirgsstabs- und Fernmeldelehrbataillon 8

Kompaniechef

Sehr geehrter Herr Schertel,

am 05.11.01 werden Sie in die 8. Kompanie des Gebirgsstabs- und Fernmeldelehrbataillons 8 einberufen und treten dort Ihren Dienst an.

Ab diesem Zeitpunkt werde ich Ihr Kompaniechef sein und möchte Sie auf diesem Wege bereits vor Ihrem Dienstantritt begrüßen.

Sie werden einen Ihnen bislang unbekannten und neuartigen Lebensabschnitt beginnen. Die ersten sieben Wochen werden fordernd und körperlich anstrengend sein. In der Allgemeinen Grundausbildung werden Sie das „Handwerk“ eines Soldaten erlernen. Im Anschluß werden Sie eine Spezialgrundausbildung absolvieren und zum Fernmeldesoldaten ausgebildet. In der zweiten Hälfte Ihrer Wehrdienstzeit werden Sie dann überwiegend in den Fernmeldetrupps eingesetzt, wobei Sie an verschiedenen Übungen teilnehmen und feldgemäße Telefonverbindungen erstellen.

Sie erwartet eine erlebnisreiche Zeit mit guter Kameradschaft und interessanter Ausbildung, in der Sie die Eigenheiten der militärischen Gemeinschaft akzeptieren müssen. Wir werden Ihnen Hilfestellung dabei geben und sind schon intensiv mit der Vorbereitung beschäftigt.

Ich möchte Ihnen im folgenden noch ein paar nützliche Tips an die Hand geben, welche die Erfahrungen vergangener Einstellungstage gezeigt haben. Es ist für Sie und für uns von großem Vorteil, wenn Sie am Einstellungstag spätestens bis 14.00 Uhr eintreffen, da bereits an diesem Tag etliche organisatorische Maßnahmen ablaufen, die ansonsten bis spät in die Nacht dauern würden. Denken Sie daran, dass in den Alpen wetterbedingt nicht immer optimale Straßenbedingungen herrschen und fahren Sie zeitgerecht los, damit Sie gesund und pünktlich ankommen. (..)

Entgegen der Information Ihres Einberufungsbescheides können Sie private Sportschuhe mitbringen. Ihre dienstliche Bekleidung wird nicht gleich in der ersten Tagen ausgegeben, deshalb empfehle ich Ihnen der Jahreszeit entsprechende Zivilbekleidung, mitzubringen.

Aufgrund der hohen Ausbildungsdichte ist es leider erforderlich, dass Sie an den ersten Wochentagen und am Samstag, den 10.11.2001 (ist bis Mittag Dienst vorgesehen) teilweise längere Dienstzeiten in Kauf nehmen müssen. Dafür ist voraussichtlich an den darauffolgenden Wochenenden sowie am 30.11.01 kein Dienst (Ausnahme Sonderdienste) zu leisten.

Mit freundlichen Grüßen

Wäscher, Hauptmann

Tja, damit wusste ich schon mal Bescheid. Das erste Wochenende kann ich mich auf längeren Dienst freuen. Toll. Das heißt also im Klartext, dass ich wahrscheinlich zwei Wochen am Stück da unten bin, da sich die Heimfahrt wohl kaum lohnen würde.

Ja, was macht man jetzt so alles mit seiner freien Zeit bis man seinen Dienst antreten muss?! Sind ja – zum Glück – schon noch ein paar Tage.

Ich hab getan, was wohl jeder getan hätte, der nicht noch kurzfristig irgendwo angestellt wird: 1. Zeit für mich, sprich faulenzen; 2. Soziale Kontakte pflegen, d.h. um die Häuser ziehen; 3. zuhause helfen, anders ausgedrückt arbeiten; 4. Hand-Augen-Koordination verbessern also Videospiele; 5. Den Bund verfluchen.

Nebenbei hab ich noch mitbekommen, dass auch mein lieber Freund Sven zeitgleich mit mir eingezogen wird. Mit einem Unterschied: er wird Feldjäger. Das sagte mir zu dem Zeitpunkt noch nicht viel, aber dafür sollte ich es später umso hämischer erfahren.

In der Zeit wollte ich nicht, dass jemand aus meinem Freundeskreis mitbekommt, dass ich zur Bundeswehr gehe. Ich hab’s niemandem erzählt. Die sollten es alle erst erfahren, wenn’s rum war. Ich hab nichts verraten. Auch nicht auf der Halloweenfeier.

Tage der Angst Teil 4

30. Oktober 2001 – mein letzter Tag in Freiheit. Ich befinde mich auf einer Halloweenparty in Nürnberg bei einer Freundin. Ich bin zusammen mit Thomas runtergefahren und ich hab nen Karton mit Sachen dabei, die ich verkaufen will. Ja, das FinalFantasy VIII T-Shirt findet auch gleich einen Käufer, genauso wie die Oh! My Goddess Bände.

Bezahlen können sie noch nicht sofort, aber am heutigen Abend ist mir so einiges egal. Ab morgen früh bin ich offiziell Soldat! Wir feiern also die Nacht ein bisschen durch, Thomas, ich und Sven sind nicht verkleidet, die Mädchen alle in der Art Gothicvampir. Zuerst waren wir alle im Wohnzimmer und haben geredet, aber zuerst gehen Cathrin und Sonja in die Küche und nach und nach sind alle – außer mir – dort. Ich bleibe im Wohnzimmer sitzen und schaue mit Cathrins Mutter zusammen fern und quatsche. Es läuft Andromeda, die Serie mit ihrem Lieblingsschauspieler.

Es weiß noch keiner hier, dass ich ab heute nacht, 0:00 Uhr auch Soldat werde – genauso wie Sven. Mit dem Unterschied, dass ich Fernmelder werde und er zu den Feldjägern kommt. „Der Sven kommt bestimmt als ein riesiger Muskelberg vom Bund zurück!“ haben sie vorhin gesagt. Ha! Wartet mal, bis ich da zurückkomm. Dann schau ich bestimmt auch nicht schlecht aus und krieg vielleicht auch mal ne Freundin ab. Würd auch endlich mal Zeit werden, schließlich werd ich im Januar 19 und hab immer noch keine Freundin gehabt. Sind bloß noch zweieinhalb Monate bis zu meinem Geburtstag und den darf ich auch noch bei der Bundeswehr feiern. Es gibt nichts, aber auch wirklich gar nichts schöneres, was ich mir vorstellen kann, als Geburtstag feiern beim Bund!

Aber zuerst mal feiern wir hier und die Stimmung ist eigentlich auch ganz gut. Es wird über ganz normales belangloses Zeug gequatscht – wie auf jeder Feier eben.

Aber es wird – natürlich – auch von der Bundeswehr gelabert, denn schließlich ist Sven ab Mitternacht Soldat. Er freut sich auch schon ganz dolle. Er will nämlich gleich mal zwei Monate ranhängen und eine Unteroffiziersausbildung machen, so wie sein Bruder damals. Hört sich gar nicht mal schlecht an. Wenn man sich mit der Bundeswehr anfreunden kann.

Es ist 23:30 Uhr und mir ist gar nicht gut. Ich zeige das nicht, ich tu immer noch gut gelaunt, aber in einer halben Stunde bereits bin ich meiner Freiheit beraubt, bin Soldat. Da fühlt man sich nicht so besonders. Irgendwie vergeht diese verdammte halbe Stunde viel zu schnell. 23:58 Uhr. Wir sitzen alle gemeinsam im Wohnzimmer und die Mädchen werden gleich Sven ‚feiern’.

0:00 Uhr. Schreck. Wir sind ab jetzt offiziell Grundwehrdienstleistende. Es geht grad noch ‚Juhu, Sven, jetzt bist du ein Soldat!’ und ich weiß, dass das auch für mich gilt. Aber ich freu mich da ehrlich nicht so sehr drüber, wie Sven das tut. Es ist jetzt der 01.11.01, eigentlich ein komisches Datum, wenn man es so liest. Zum Glück hab ich noch vier Tage Gnadenfrist mit heute, bis ich zum Dienst antreten muss. Also sich langsam mit dem Gedanken abfinden und noch mit den anderen rumblödeln, so lange es noch geht. Wer weiß, wie viel Gelegenheit ich in den nächsten 10 Monaten dazu haben werde. Nach einer gelungenen Feier und gelegentlichem Pennen im Sessel fahren Thomas und ich wieder nach Hause, er setzt mich ab und fährt heim, in Richtung Ebern. Tja, ich darf jetzt noch drei kurze Tage in Freiheit verbringen, aber Spaß machen die irgendwie nicht.

Grundausbildung Erster Tag Teil 1

Und so ist er da – der Tag, an dem ich meinem elenden Schicksal entgegeneilen darf! Heute komme ich zum Bund! Hab auch alles eingepackt, was in dem Brief stand. Zusätzlich noch zwei Jeans und einen Pullover und drei T-Shirts und noch zwei Paar Schuhe und noch mehr nach meiner Ansicht, unsinnigen Krimskrams. Tja, Mutter sei Dank! Ich MUSS ja soviel mitnehmen. Find ich auch ganz klasse. Eine Hose würde mir reichen, vielleicht eine zweite, falls die erste nass wird oder so. Aber was ich da so alles in meiner Tasche habe, finde ich echt übertrieben.

Ich steige um 7:15 Uhr in den Regionalexpress Richtung München. Das erste Mal seit ich sieben Jahre alt bin, dass ich Zug fahre. Und auch noch ganz allein. Ich hoff mal, dass alles gut geht und wenn ich kontrolliert werde, dass auch alles passt. Ich kenn mich ja nicht aus.

Zumindest hab ich mein Ticket, den Bescheid vom Bund und die Verbindung als Ausdruck, damit ich auch gleich weiß, wo ich umsteigen muss. Die Strecke geht von Bamberg über zahlreiche Käffer nach Erlangen, Fürth, Nürnberg, weiter über Käffer nach München-Pasing und München Hauptbahnhof. Wenigstens hab ich mir was zum Lesen mitgenommen: Patrick Süßkinds ‚Das Parfum’, ein tolles Buch und ich lese es jetzt zum dritten Mal. Damit vergeht die Zeit wenigstens etwas, obwohl man immer so ein komisches Bauchgefühl hat. Um 11:17 in München angekommen auf Gleis 11 gehe ich erst mal in die Mittelhalle um mich einigermaßen zu orientieren. Mal schauen, wo dieses Gleis 27 ist, von dem aus es um 11: 45 weiter in Richtung Mittenwald geht, über Murnau, Klais und noch so ein paar Orte: Uffing, Huglfing und wie die alle heißen mögen.

Jedenfalls isses ganz leicht, vom Haupteingang aus gesehen muss man einfach auf die Gleise ganz rechts gehen und da ist es schon, das Erste. Ich versuche noch von einem Kartentelefon aus zuhause anzurufen, damit meine Mutter weiß, dass ich schon (?) in München bin. Man fühlt sich dabei echt scheiße komisch, wenn man weiß, man ist in einer fremden Stadt und kommt wohin, wo man 10 Monate lang gefangen ist und wovon man nur die schlimmsten Horrorvorstellungen hat. Dieses absolute Übelkeits- und Verlassenheitsgefühl. Man kann es kaum beschreiben, aber es ist schrecklich. ‚Warum ich’ geht es mir durch den Kopf. ‚Warum ist das alles nur so scheiße und warum muss ich zu diesem verdammten Bund? Warum greift diese verdammte Dritte-Sohn-Regelung nicht?’

Aber man besinnt sich, es nützt ja doch nichts und ich gehe zum Gleis 27, vergewissere mich, dass auf dem Schild Mittenwald steht und setze mich auf die Bank und warte, dass der Zug kommt. Wobei ich mir eigentlich wünschen würde, dass er NICHT kommt!

Aber was nützt diese Hoffnung, zehn Minuten später kommt der Zug ja doch und ich suche mir einen Sitzplatz aus. Es steigen auch noch mehr junge Leute ein, natürlich männlich und mit ebenso großen Taschen wie ich. Leidensgenossen denke ich mir. Und eigentlich könnte oder sollte man mit dem ein oder anderen mal ein bisschen quatschen, aber erstens ist keiner in meinem Abteil und zweitens trau ich mich nicht, jemanden von denen anzusprechen. Allerdings geht es den anderen scheinbar ebenso.

Bei jeder Station schaue ich auf das Halteschild, nicht, dass ich noch das Aussteigen verpasse. Aber auf meiner Zugauskunft steht, dass ich um 13:27 in Mittenwald ankomme, also kann ich rein theoretisch noch etwas lesen. Aber halt! Wie komme ich eigentlich vom Bahnhof zur Kaserne? Wie finde ich die? Also hol ich mein Handy raus und ruf mal in Mittenwald an. Die Nummer steht ja auf meinem Einberufungsbescheid. Tüüt…tüüt… besetzt! Okay, in fünf Minuten nochmal, schließlich will ich das auch schnell hinter mir haben, damit ich Bescheid weiß.

Also rufe ich nochmal an: Tüüt…tüüt… „Geschäftszimmer 8./8 (gesprochen: Achte acht). Was kann ich tun?“ „Ja äh, hallo! Mein Name ist Sebastian Schertel und ich trete heute meinen Dienst bei der Bundeswehr an. Und ich wollte mal fragen, wie ich zur Kaserne komme.“ „Moment, da geb ich Ihnen mal den Kompaniefeldwebel.“ Ärks! Ich weiß zwar nicht, was der Kompaniefeldwebel für einer ist, aber ich wollte eigentlich nicht gleich mit so was Hohem sprechen und jetzt ist der gleich am Apparat! Schock!

„Hier Hauptfeldwebel Grober, was gibt’s?“ „Ja mein Name ist Sebastian Schertel und ich wollte fragen, wie ich zur Kaserne komme, weil heute ist mein erster Tag.“

Der Feldwebel ist mürrisch. „Da fährt ein Bus.“ „Und wo fährt der da?“ „Das sehen sie dann schon.“ Tüüüüüüüt…..

Ich wette, die Geschäftszimmersoldaten haben mich absichtlich weitergegeben, um sich einen Spaß draußzumachen, dass der Spieß absolut nicht gut gelaunt ist und mich gleich mal so richtig schön anschnauzt.

Grundausbildung Erster Tag Teil 2

Jedenfalls weiß ich jetzt, es gibt einen Bus. Und den wird ich schon erkennen. Na gut, ich hoff’s mal stark. Jetzt kann ich allerdings nicht mehr lesen, weil dieses unfreundliche Telefonat mich doch etwas angeschlagen hat. Okay, schau ich mir halt die Landschaft an. Noch alles schön grün und die Sonne scheint auch ganz nett.

Tralala. Dummdidumm. Langweilig. Wann bin ich denn endlich da? Doch – eigentlich will ich doch gar nicht ankommen. Ah, verdammt, da kann ich eh nix dagegen machen, also warum denk ich dauernd den selben Scheiß? Verdammter Bund. Verdammtes scheiß KWEA!

Pünktlich um 13:27 Uhr, wie in der Zugauskunft angegeben, komme ich am Bahnhof Mittenwald an und sehe schon vom Fenster aus zwei Soldaten am Ausgang stehen. Okay, stimmt, jetzt kann ich den Bus nicht mehr verpassen. Hätt ich gleich draufkommen können, dass wir abgeholt werden. Der Zug steht und ich steige aus. Aber von den Türen vor und hinter mir noch zig andere. Gut, lauf ma mal zu den Soldaten. Die sagen gleich „Okay, also jetzt alle mal sammeln und gut zuhörn! Ihr holt jetzt alle eure Einberufungsbescheide raus, zeigt sie uns und wir sagen euch dann eine Nummer, 6 oder 8 und die merkt ihr euch dann. Alles klar!?“

Ja, bisher ist noch alles klar. Ich hab meinen als erster draußen und da ich eh ganz vorne stehe, schaut sich der erste Soldat auch gleich den Bescheid an. „8. Und gleich weitergehen nach draußen und dort warten!“ Soldaten in der Grundausbildung haben alle eine ziemlich schroffe und laute Stimme. Okay, somit gehen wir alle der Reihe nach nach draußen vor den Bahnhof und warten. Als endlich alle, so zirka 40, Mann da sind, kommen nochmal die beiden Soldaten und weißen uns schon mal gleich ein.

„So meine Herren! Sie legen jetzt gleich mal alle Uhren, Ohrringe, Ketten oder Piercings ab, soll ja Leute geben, die auch so einen neumodischen Scheiß haben. Dann machen sie auch gleich mal alle ihre Handys aus, die müssen in der Kaserne ausgeschalten sein. So. Sie können jetzt nochmal eine rauchen wenn sie wollen, das wird erst mal ihre letzte Zigarette sein. Wir warten jetzt noch auf den Bus, der uns dann zur Kaserne bringt. Die mit der Nummer 6 steigen vorne ein, die mit der Nummer 8 hinten. Soweit alles klar!? Fragen keine!? Gut.“

Fragen ham ma bestimmt, aber ich trau mich nichts fragen. Ich wart einfach mal ab, was passiert.

Ich schau mich um was da noch so alles für Gesichter da sind und…. das gibt’s doch nicht! Nee oder?! Mein alter Schulfreund Stefan Fürst! Ich glaub’s ja nicht. Wir waren in zwei unterschiedlichen Klassen aber kennen uns noch von früher aus der 5. und 6.! Er war immer die Sportskanone. Ein Seelenverwandter und er kommt aus derselben Gemeinde. Gleich mal ansprechen.

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